Buchrezensionen aus Ober-Ramstadt
Indiens verdrängte Wahrheit: Streitschrift gegen ein unmenschliches System
Wo bleibt die internationale Gemeinschaft der Feministinnen?
Rezension von Winfried Stanzick zum Buch: „Indiens verdrängte Wahrheit: Streitschrift gegen ein unmenschliches System“ von Georg Blume. Gebundene Ausgabe: 200 Seiten, Verlag: edition Körber-Stiftung (2. April 2014), ISBN-10: 3896841548, ISBN-13: 978-3896841544, Preis: 17 Euro.
Als größte Demokratie der Welt und
als Tigerstaat wird Indien seit Jahrzehnten in der westlichen Welt
als ein Beispiel hervorgehoben. Die in diesen Tagen zu Ende gehende
Parlamentswahl mit über 800 Millionen Wahlberechtigten, von denen
Unzählige Analphabeten sind, hat die Nachrichten der letzten Wochen
bestimmt. Nur ganz vereinzelt kamen in diesem Zusammenhang die
Zustände zur Sprache, die die beiden erfahrenen
Indienkorrespondenten der FAZ und der ZEIT, Christoph Hein und Georg
Blume in dem vorliegenden Buch akribisch beschreiben und in ihren
historischen Kontext einordnen.
In ihrem engagierten Essay, dem man auf fast jeder Seite die Liebe zum Land Indien und seinen Menschen abspürt, drücken sie ihre Empörung aus über Zustände, unter denen vor allem Frauen und Kinder leiden. Zwei Millionen weibliche Föten werden jedes Jahr abgetrieben, weil Frauen nichts gelten in der indischen Kultur.
Die, die leben dürfen, sind von
Vergewaltigungen bedroht, die nur dann die westlichen Medien
erreichen, wenn eine westliche Frau betroffen ist oder wenn die Tat
besonders brutal war. In einem Fernsehbeitrag war gestern zu sehen,
dass indische Männer und Familien nun Frauen aus Bangladesh kaufen
und sie halten wie Sklavinnen, da es bei weitem nicht genug
heiratsfähige Frauen in Indien mehr gibt, man hat sie ja über
Jahrzehnte hinweg massenhaft abgetrieben oder in den Selbstmord
getrieben.
Es ist die indische Elite, die im Reichtum
schwelgt, die Schuld an diesen Zuständen trögt, die sich über
Jahrzehnte zu einem Alltag geprägt von Ausbeutung, Korruption,
Vernachlässigung und Fehlplanung entwickelt haben. Aber die beiden
Autoren zeigen auch auf, dass der Westen an diesen empörenden
Zuständen eine Mitschuld trägt, weil er sie um der wirtschaftlichen
Beziehungen willen über lange Zeit beschwiegen hat. „Politik,
Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen ihren Einfluss auf ihren
internationalen Partner geltend machen. Denn Indien hat unsere
kritische Aufmerksamkeit verdient.“ So die beiden Autoren.
Ich
möchte hinzufügen: Wo bleibt die internationale Gemeinschaft der
Feministinnen? Es reicht nicht, nur eine Malala zu bewundern, sondern
es ist eine weltumspannende Solidarität mit all den lebenden und
ungeborenen Frauen Indiens endlich nötig.